Interview mit Jupp Heynckes

Er wurde 1972 Europameister, 1974 Weltmeister und vier Mal deutscher Meister. Mit der Borussia gewann er zudem jeweils einmal den DFB-Pokal und den UEFA-Cup, holte sich zwei Mal die Torjägerkanone und schoss die drittmeisten Bundesligatore. In seinem letzten Spiel für Mönchengladbach, dem legendären 12:0-Sieg über Dortmund am 29. April 1978, verabschiedete er sich mit fünf Treffern. Heynckes blieb jedoch dem VfL treu und wurde nach einem Jahr als Assistenztrainer Chefcoach bei den Fohlen.

Im Frühjahr 1987 heuerte ihn ein unbedeutender Verein in Süddeutschland an. Es folgten Trainerstationen u. a. bei Athletico Bilbao, Real Madrid und Schalke 04 (Stand: 4. Februar 2004). Welchem Verein jedoch immer noch seine wahre Liebe gilt, wird in diesem Interview deutlich.

Im Mai kommen Sie mit Schalke an den Bökelberg, der wenig später abgerissen wird. Wie ist das, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie dort ihre größten Erfolge feierten?

Gestern Abend habe ich die Konferenzschaltung vom Viertelfinale im Pokal verfolgt, und dann war das auch kurz Thema des Moderators. Da habe ich darüber nachgedacht, dass das sicher ein ganz eigenartiges Gefühl sein wird, wenn ich mit Schalke ins Bökelbergstadion kommen werde, wo ich meine Wurzeln habe. Wo ich groß geworden bin als Spieler, und wo ich meine ersten Schritte als Trainer gemacht habe. Das wird sicher ein wehmütiges, nachdenkliches Gefühl sein. Da wird dann auch vor meinen Augen ein Film ablaufen von vielen großen Begegnungen und Ereignissen.

Mit dem Bökelberg geht ein Mythos. Die Borussia und der Bökelberg gehörten zusammen. Für den Verein bricht eine neue Epoche an.

Gibt es ein Spiel oder Ereignis, das bei Ihnen besonders hängen geblieben ist?

Es sind sehr viele Eindrücke haften geblieben. Zum Beispiel das Aufstiegsjahr in der Regionalliga. Das war etwas ganz Besonderes, obwohl ich später große Erfolge gefeiert habe als Spieler und als Trainer. Für mich war das erste Profi-Jahr mit 19 Jahren am Nachhaltigsten. Wo ich in der Meisterschaft und in der Aufstiegsrunde zusammen, glaube ich, 31 Tore (Anm.: Es waren 29 Tore in 31 Spielen) erzielt habe. Das war ein wunderbares Gefühl. Genauso wie meine erste deutsche Meisterschaft am Bökelberg.

Herausragende Ereignisse waren auch die Europacup-Spiele und da besonders das 7:1 gegen Inter Mailand, wo wir sicher das beste Spiel der Vereinsgeschichte gemacht haben. Das war spektakulär, doch es bekam leider einen bitteren Beigeschmack durch den Büchsenwurf, und dass das Spiel dadurch annulliert wurde. Das war dann zugleich die größte Enttäuschung. Boninsegna hat ja perfekt geschauspielert, und ob die mit elf, mit zwölf oder mit zehn gespielt hätten – die hätten das Spiel sowieso nicht gewinnen können. An dem Tag waren wir unwiderstehlich. Das haben wir drei Tage später in der Bundesliga unterstrichen, als wir gegen den Zweitplatzierten in der Liga, Schalke, 7:0 gewonnen haben. Da waren wir einfach top in Form.

Aber nicht nur in diesem Achtelfinale hat die Borussia unwiderstehlich gespielt, sondern auch 1973 im DFB-Pokal-Endspiel. Was fällt Ihnen dazu ein?

Das Endspiel gegen unseren ewigen Rivalen Köln war ein Derby. Das hatte auch noch die Zutat, dass Hennes Weisweiler Kölner war und die Victoria trainiert hatte. Dadurch hatte er einen besonderen Ehrgeiz, gegen Köln zu gewinnen. Das hat er auch auf die Mannschaft übertragen. Es war ein spektakuläres Spiel bei 35 Grad Hitze, mit Verlängerung und großartigen Torhüterleistungen. Das sagt schon alles über das Spiel aus, dass beide Torhüter die besten Leute auf dem Platz waren. Dass beide Mannschaften einen attraktiven Angriffsfußball und große Torchancen herausgespielt haben, aber beide Torhüter an dem Tag fast unüberwindlich waren. Das war ein Höhepunkt, weil es ein super Spiel beider Mannschaften war und große Akteure auf dem Platz standen.

Stimmt es, dass Sie Günter Netzer überredet haben, mit ins Stadion zu kommen?

Das ist richtig. Wir waren fünf Jahre Zimmerkollegen und haben immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Das hat sich heute noch verstärkt. Günter war natürlich tief enttäuscht, dass er von Anfang an nicht dabei war und wollte nach Hause fahren. Ich habe ihm gesagt, dass es im Ablauf des Spieles bestimmt Situationen gibt, wo wir ihn brauchen, wo er eingewechselt wird und unter Umständen für uns entscheidend sein kann. Wir haben über vieles gesprochen, und ich habe ihn überzeugen können, dass er für die Mannschaft spielt und nicht für den Trainer. Obwohl er mit dem Hennes ein gutes Verhältnis hatte – auf der einen Seite. Auf der anderen auch ein konfliktives. Aber ich habe ihm gesagt, dass er für die Truppe da sein muss. Dass der Erfolg und die Mannschaft im Vordergrund steht. Da der Günter ja ein intelligenter Junge war und ist, hat er das verstanden und ist auch da geblieben.

In der zweiten Halbzeit kam es ja zum Elfmeter für Gladbach. Kurz vor der Ausführung ist Hannes Löhr an Ihnen vorbeigegangen. Hat er etwas gesagt?

Da kann ich mich nicht daran erinnern. Der Hannes war ein Schlitzohr, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ich war auch so konzentriert auf die Durchführung des Elfmeters, dass ich nicht darauf geachtet habe. Der Elfer war dann nicht so gut geschossen, auch nicht ganz so schlecht, aber der Torwart hat sehr gut reagiert. Deswegen war es gut, dass der Günter das Tor noch gemacht hat.

Als 1999 Ihr Kollege Bonhof in Gladbach aufhörte, hat man auch Sie gefragt, ob Sie Nachfolger werden wollten. Warum haben Sie abgelehnt?

Meine Arbeit für Gladbach ist getan. Als Spieler, Assistenztrainer und Trainer war ich unheimlich viele Jahre bei der Borussia. Ich glaube, 23 Jahre insgesamt. Damit ist für mich das Kapitel beendet. Der Klub hat mir so viel gegeben, und ich habe unheimlich viel Positives in Mönchengladbach erlebt. Es wäre nicht gut, nochmal zurück zu den Wurzeln zu gehen. Das ist abgeschlossen bei mir. (Im Mai 2006 wurde Jupp Heynckes für acht Monate doch noch einmal Trainer in Mönchengladbach)

Als Sie Trainer in Spanien und Portugal waren, haben Sie dort die Entwicklung der Borussia mitverfolgt?

Selbstverständlich. Meistens über Videotext oder telefonisch direkt nach dem Spiel. Wenn ich zuhause war, habe ich auch mal Ausschnitte gesehen oder das ein oder andere Spiel. Die Borussia hat mich immer interessiert. Das ist ja mein Klub. Ich hatte eine einzigartige Zeit da als Spieler und später auch als Trainer. Mit Helmut Grashoff besonders. Das sind Jahre, die man nicht aus dem Gedächtnis wegstreichen kann. Es war eine wunderschöne Zeit.

Was glauben Sie, wo Gladbach am Ende der Saison steht?

Vor der Winterpause haben sie gut gespielt. Sie waren die besten Gegner, die bis dahin auf Schalke waren. Ich glaube, dass sich die Borussia durch die Qualifikation für das Halbfinale wieder fängt und steigern kann. Ich hoffe, dass sie nichts mit dem Abstieg zu tun hat, dass sie ins gesicherte Mittelfeld kommt, und dass sie dann auch mit der neuen Arena den ein oder anderen Spieler mehr verpflichten kann. Dass sie wirtschaftlich auf besseren und sichereren Beinen steht, und dass es kontinuierlich aufwärts geht. Ich habe das Gefühl, dass mit Hochstätter und Fach etwas in der Entstehung ist.

4. Februar 2004